Textkorrekturen (Automatisierung 3. Teil)

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Die Textherstellung mittels Computer eröffnet ein paar Operationen, die mir das Schreiben sehr erleichtern. Beim Schreiben mache ich gelegentlich Fehler, die ich selbst noch während des Schreibens bemerke. Das können orthographische oder grammatikalische Fehler sein. Wenn ich mit einem Kugelschreiber schreibe, kann ich die Fehler aufheben, indem ich die entsprechende Textstelle durchstreiche und nochmals schreibe, oder indem ich den ganzen Papierbogen nochmals schreibe. In vielen Fällen schreibe ich in diesem Bewusstsein ohnehin eine erste Version, die ich als Sudel oder als Kladde bezeichne und erst danach ein Schönschreibe-Abschrift. Das heisst, ich schreibe die meisten Texte mehrmals, weil es mir selten gelingt, einen Text auf Anhieb fehlerlos zu schreiben.

Bei der Schreibmaschine habe ich eine Korrekturtaste für Tippfehler, die ich sofort erkenne. Davon abgesehen, dass solche Korrekturen sichtbar bleiben, sind sie nur in speziellen Fällen möglich. Bei Schreibmaschinen der entwickelsten Stufe – die natürlich schon Computer waren, aber noch wie deleteherkömmliche Schreibmaschinen ausgesehen haben – wurde der Computer indem Sinne simuliert, dass die Tastenanschläge zeilenweise gespeichert und erst gedruckt wurden, wenn ich die Zeile freigegeben habe. Es waren sozusagen einzeilige Computer, oft sogar mit einem Display, so dass ich vor dem Drucken noch eine auf die jeweilige Zeile bezogene Korrektur einbringen konnte.

Beim eigentlichen Drucken, also wenn es um das Herstellen vieler Exemplare desselben Textes geht, verdoppelt sich das Anliegen einer allfälligen Korrektur. Vor dem massenhaften Herstellen der Exemplare wird ein „Gut-zum-Druck“ gedruckt, was den Sudel auf einer höheren Ebene repräsentiert. Aber auf das Erstellen der Druckplatte ergeben sich noch davor genau dieselben Anforderungen wie beim Schreiben mit dem Kugelschreiber. Für das Setzen ist die Erfindung des Lettersatzes von Gutenberg eine enorme Erleichterung beim Korrigieren von gesetzten Fehlern. Es ist umstritten, ob die berühmte Gutenbergbibel tatsächlich mit einem Lettersatzverfahren gedruckt wurde. In diesem Streit werden Argumente verwendet, die die Differenz zwischen Druckplatten und Setzrahmen hervorheben. Bei eigentlichen Druckplatten konnten im Nachhinein nur bestimmte Korrekturen angebracht werden, während der Lettersatz diesbezüglich viel flexibler war.

Im Lettersatz wurden viele Aspekte des Schreibens mit dem Computer vorweggenommen. Es ist typisch für die Manufaktur des Handwerkes, dass Operationen in Form von Teilarbeiten geschaffen wurden, die dann später mechanisiert wurden. Die Schriftsetzer merkten bald, dass es in der Anordnung der Lettern eine statistische Verteilung gibt, die sinnvollerweise für Textbausteine genutzt wird. Bestimmte Wörter kommen so häufig vor, dass sie nicht jedes Mal neu zusammengesetzt wurden, sondern sozusagen das Alphabet erweitert haben. Auch das ist in den Computern in dem Sinne aufgehoben, als ich vom Computer Vorschläge dazu bekomme, wie ich ein während des Schreibens angefangenes Wort fertigschreiben würde.

Beim Schreiben mit dem Computer habe ich zwei Optionen der Korrektur, die auf den gängigen Tastaturen durch zwei verschiedene Tasten repräsentiert werden. Ich kann die zuletzt getippten Zeichen in umgekehrter Reihenfolge mit einer Zurücktaste löschen. Viel umfassender ist die Funktion, dass kann eine Zeichenkette, die auch aus einem einzelnen Zeichen bestehen kann, mit dem sogenannten Cursor markieren und sie dann mit der Löschtaste löschen kann. In beiden Fällen kann ich an der Stelle des Cursors mit dem Schreiben fortfahren. Bei der Zurücklöschtaste bleibe ich am aktuellen Ort meines Schreibens, das heisst ich schreibe einfach weiter, wie wenn ich keine Korrektur gemacht hätte. Wenn ich den Cursor dagegen irgendwo in meinem Text platziert habe, dann schreibe ich dort weiter, was einem Einfügen von Text in den Text entspricht.

Als ich meine erste Vorlesung gehalten habe, habe ich das „Manu-Skript“ dazutext_schneiden auf einem Computer der Uni geschrieben. Ich konnte dabei eine gute Software namens „Script“ benutzen, aber das Terminal des Computers war in einem Keller der Uni, der zeitlich nur begrenzt zugänglich war und der Drucker war an einem noch unzugänglicheren Ort. Ich konnte also meine Korrekturen nur zu bestimmten Zeiten machen und musste jeweils auf den Ausdruck mit beachtlicher Geduld warten. Meine Überarbeitungen des Textes machte ich zuhause, wobei die Schere ein wichtiges Schreibwerkzeug war. Oft schnitt ich den Text auseinander, um dann handgeschrieben Teile einzufügen, die ich dann später am Computer nochmals eingefügt habe. Bei meinem manuellen Verfahren entstanden oft Skriptseiten, die etwas länger oder etwas kürzer als A4 waren, weil ich ja die Umbrüche ohne unsinnigen Aufwand nicht nachführen konnte.

Beim Text im Computer ist in diesem Sinne auch die Verbindung zwischen Text und Textträger aufgehoben. Es ist als ob ich den Text auf einem quasi endlosen Papier hin- und herschieben könne, was ich bei Texten auf Papier nicht kann, weil die Schriftzeichen festkleben. Beim Buchstaben-Brettspiel Scrabble beispielsweise kann ich Text im eigentlichen Sinn des Wortes verschieben, aber natürlich nur innerhalb des festgelegten Feldes, am Rand kann ich nicht weiterschreiben. Wenn der Text in Form einer strukturiert magnetisierten Computerdisk vorliegt, verschiebe ich den Text nicht eigentlich. Das, was mir auf dem Bildschirm anschaulich als Verschieben erscheint, beruht auf verschiedenen technischen Verfahren, die alle auf einer Veränderung der magnetisierten Struktur auf dem Arbeitsspeicher beruhen.

Die Unterscheidung zwischen Text und Textträger wird aufgehoben, weil der Text mit dem Textträger wie beim Schreiben auf Lochkarten verschmilzt, die Verschmelzung ist aber reversibel wie die Zeichen, die ich in den Sand schreibe. Die wesentliche Eigenschaft besteht aber nicht in der Reversibilität, die den Text löscht, sondern in einer Modifikabilität, bei welcher der Text paradox formuliert erhalten bleibt, wenn er gelöscht wird. Es gibt diesbezüglich natürlich keine Paradoxie. Der Text wird im Computer einfach mehrfach an andere Orte kopiert, also an einem Ausgangpunkt tatsächlich gelöscht und an einem andern Ort wieder reproduziert. (1)

Die hier angesprochene evolutionstheoretische Modifikabilität bezieht sich nicht darauf, dass der Text wie im Sand durch einen anderen Text überschrieben werden kann, was natürlich auch der Fall ist, sondern darauf, dass der Text in seiner je vorhandenen Zusammenstellung nicht festgelegt, sondern variierbar, sozusagen auftrennbar und verschiebbar ist. Der Witz des Computers besteht natürlich darin, dass das Prozedere nicht mit einer Schere von Hand durchgeführt werden muss, sondern automatisiert ist. In der biologischen Evolution wird diese Modifikabilität etwa als Lern- oder Anpassungsfähigkeit beschrieben, wobei bereits gelernte Verhalten durch weitere Verhaltensweisen modifiziert werden können, während primitivere Entwicklungsstufen durch Instinkte ganz festgelegt oder durch Prägungen nach einem Lernprozess festgelegt sind.

Diese Modifikabilität hat noch ein paar Konsequenzen, die ich beobachten will.


1) Ich will hier die Technik des sogenannten Diskoperatings nicht erläutern. Statt Texte hin und herzukopieren, kann ich auch Metatexte mit sogenannten Zeigern verändern, ich komme später im Zusammenhang mit Hypertext darauf zurück. (zurück)

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last update 11. 4.2015 /

 

4 Antworten zu “Textkorrekturen (Automatisierung 3. Teil)

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  2. es wird immer spannender !!!

    eine assoziation
    http://de.wikipedia.org/wiki/Cluster_%28Kreatives_Schreiben%29

    ich habe den eindruck, dass z.b. das populärwerden dieses clusterns, mapping u.ä., (allerdings wieder mit p a p i e r ), einerseits eine folge des von dir beschriebenen prinzips der modifikabilität des computers ist.
    andererseits erst die technische weiterentwicklung (flash) diese arbeitsweisen dann auch mit dem computer ermöglichten ….

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    • 🙂 finde ich wunderbar, dass es spannend sein kann. Für mich ist vor allem spannend, wie viele mir nicht bewusste Aspekte aufscheinen.
      Ich finde auch interessant, dass viele neue Ideen zuerst wieder auf Papier probiert werden und erst danach auf den Computer kommen. Das reprodzuiert die Idee, dass das Handwerk grundlegend ist. Auch die Entdeckung des Haptischen gehört da dazu.

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